Unendliche Geschichte(n) – noch einmal zum Homöopathie-Review des NHMRC

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Den Titel von Michael Endes bekanntem Werk „Die unendliche Geschichte“ haben die Homöopathen als stilles Motto schon längst für sich entdeckt, was ihre ständig wiederholten „Argumente“ pro Homöopathie belegen. In einem speziellen Zusammenhang stellen sie einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis, dass es bei ihnen aber um nicht mehr geht als um ein ständiges Aufwärmen von Altbekanntem auf dem Herd der Gerüchte und Halbwahrheiten.

So bemüht sich Jens Behnke in einem Artikel auf „Natur und Medizin“, die seit mehr als zwei Jahren im homöopathischen Universum freischwebenden „schweren Vorwürfe“ gegen das Review der australischen Gesundheitsbehörde NHMRC auf Betriebstemperatur zu halten.

Wir erinnern uns: Das Review der australischen Gesundheitsbehörde, in seltener Transparenz und unter ausdrücklicher Beteiligung der homöopathischen Seite durchgeführt, gilt als die umfassendste Untersuchung zur Wirksamkeit der Homöopathie überhaupt. Was in gewissen Kreisen außerordentlich schlecht ankam: Einige Zeit nach dem Erscheinen des Reviews im Jahre 2015 machte die Information die Runde, dass drei homöopathische Organisationen aus Australien beim Ombudsman ihrer Majestät (dem „Kummerkasten“ für Bürgeranliegen) eine Beschwerde gegen das NHMRC eingebracht hätten, die „schwere Mängel“ des Reviews beanstande. Bezeichnenderweise erschien die erste Nachricht in Europa dazu im April 2016 (etwa acht Monate nach der Einreichung der Beschwerde) in einem Organ, das – Belegzitat Prof. Ernst – schon „öfter mit der Wahrheit auf Kriegsfuß gestanden“ habe. Der deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte kolportierte diese Meldung umgehend (ursprünglicher Link erloschen, Wortlaut hier) und prägte  insbesondere das seitdem ständig wiederkehrende Wort von der „Täuschung der Öffentlichkeit“.

Das britische Homeopathy Research Institute griff in Europa diese Geschichte auf, machte sich sozusagen selbst zum Anwalt der Sache und erstellte nach eigenen Angaben auch ein „Beweispapier“ dazu. Seitdem geistern die ominösen „Mängel“ des Reviews immer wieder durch die homöopathische Szene und dienen als Argumente „gegen“ die Homöopathiekritik – nun aktuell wieder einmal auf „Natur und Medizin“.

Was bemerkenswert ist:

  • Niemals wurde der Text der Beschwerde öffentlich gemacht,
  • die drei Beschwerdeführer in Australien verweigern auf Anfrage jede Auskunft (und haben inzwischen jeden Hinweis auf die Eingabe von ihren Webseiten getilgt),
  • der Ombudsmann scheint sich nicht zu rühren (eine Bescheidung dauert normalerweise höchstens drei Monate, die Einreichung datiert vom August 2016 – was Herrn Behnke nur einen lapidaren Schlusssatz zu einem angeblich „laufenden Verfahren“ wert ist) und
  • das, was punktuell zu den angeblichen „Mängeln“ des Reviews bekannt geworden ist, wurde längst entkräftet.

Ferner war und ist nicht im Mindesten erkennbar, was die bekannt gewordenen „Beanstandungen“ denn wohl am Fazit des Reviews ändern sollen – das ja schließlich auch im Ergebnis nicht anders ausfällt als alle anderen Homöopathie-Reviews seit 1991. Insbesondere nicht anders als die inzwischen drei (Update März 2019: vier) Reviews von Robert H. Mathie, seines Zeichens Mitarbeiter des britischen HRI. Ebenso wie das NHMRC kommt Mathie zu dem Ergebnis, dass es keine belastbare Evidenz für homöopathische Behandlungen gebe.

Wir berichteten mehrfach, inhaltlich hier und hier, zur Historie hier, ausführlich in der Homöopedia. Gegenüber dem Stand dieser Beiträge hat sich in der Sache schlicht nichts getan. Gleichwohl hält Herr Behnke es für geboten, der homöopathischen Fangemeinde wieder einmal den langsam an eine Boulevardberichterstattung gemahnenden angeblichen „Skandal“ um das NHMRC-Review ins Gedächtnis zu rufen.

Bei alledem sei die Frage erlaubt: Was soll das alles? Was soll das erneute Aufwärmen dieses schon viel zu lange auf dem Ofen der Gerüchte warmgehaltenen Gerüchtekonglomerats? Die Absicht, hier zu Lasten kritischer Stimmen eine „never ending story“ am Leben zu erhalten, ist offenkundig. Neuerdings wird dem – ungeklärten – Schicksal der Beschwerde beim australischen Ombudsmann gar eine „Petition“ für eine „Offenlegung“ einer angeblichen „ersten Fassung“ des NHMRC-Reviews beigesellt.

Woher bezieht die homöopathische Fraktion übrigens ihre „Erkenntnisse“ zu einer „ersten Version“ des Reviews – ein offenbar als zentral empfundener Punkt –  und woraus werden die Schlüsse abgeleitet, die daran geknüpft werden? Wir wissen es beim besten Willen nicht. Dürfen wir angesichts der „Kritik“ zu diesem Punkt zukünftig vielleicht auf eine Rubrik bei „Natur und Medizin“ hoffen, in der lückenlos alle Entwurfsstadien zu den Artikeln von Herrn Behnke mit veröffentlicht werden?

Wir finden das – erstaunlich. Denn das alles zeigt doch letztlich völlig fehlendes Interesse an einer wirklichen Auflösung des von den Homöopathen geschürzten Knotens. Seit wann sind eine Beschwerde beim Bürgerkummerkasten ihrer Majestät oder eine auf völlig unbelegten Gerüchten beruhende Petition eine Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung? Warum kommt nichts von den angeblichen Belegen offen auf den Tisch? Wo ist der Wortlaut der Eingabe beim Ombudsman? Wo ist das „60-Seiten-Papier“ (nicht das lapidare „executive summary“ das seit April 2016 verbreitet wurde), das nach mehrfacher Aussage des britischen HRI als wissenschaftliche Unterfütterung der Beschwerde schon länger existiert? Wo ist die Information über den Stand der Dinge zur Ombudsmanbeschwerde – nach mehr als zwei Jahren? Wo ist die Fachjournal-Veröffentlichung, die sich aus homöopathischer Sicht mit Kritikpunkten zum australischen Review befasst? Wo ist eine Konfrontation des NHMRC mit den „Vorwürfen“, die diesem in guter wissenschaftlicher Manier Gelegenheit zu einer Gegendarstellung geben würde?

All das gibt es nicht. Es gibt nur gelegentlich aufgewärmte, nicht schlüssige, teils nachweislich gegenstandslose Gerüchte, die vielleicht der homöopathischen Szene irgendwie ein gutes Gefühl vermitteln, aber als Teil eines wissenschaftlichen Diskurses keinerlei Bedeutung haben. Mehr ist auch im -zigsten Wiederholungsfalle dazu nicht zu sagen, solange die Informationen zu der Angelegenheit lediglich aus mühsam hochgehaltenen Verschwörungsgerüchten bestehen. Alles, was zu dieser Sache seit nun mehr als zwei Jahren durch das homöopathische Universum wabert, würde der Jurist als „unsubstantiierten Vortrag“ bezeichnen, in zweierlei Hinsicht: sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Relevanz als auch hinsichtlich der Beweislage.

Ach ja – gleich zu Beginn seines Artikels bringt Herr Behnke das rabulistische Kunststück fertig, den Homöopathiekritikern vorzuhalten, sie würden sich gelegentlich einzelne, ihnen „genehme“ wissenschaftliche Veröffentlichungen für ihre Argumentation heranziehen, bemüht also das Argument des „Cherrypicking“. Das NHMRC-Review, die größte bislang erschienene resümierende Arbeit zur Homöopathie, als „einzelne wissenschaftliche Arbeit“ zu qualifizieren, als einen von vielen Kieselsteinen auf dem Weg, der zufällig geeignet sei, die „Meinung“ der Kritiker zu stützen: Das ist schon eine geradezu bewundernswerte Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. Und Cherrypickingvorwurf gegen die Kritiker? Umkehrt wird ein Schuh draus, Herr Behnke.


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2 Antworten auf „Unendliche Geschichte(n) – noch einmal zum Homöopathie-Review des NHMRC“

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